Reise nach Kursk 2015

Die 15 Reiseteilnehmer wurden in der modernen Halle des Flughafens Domodedowo in Moskau von der Reiseleiterin Jana Bogoslawskaja in Empfang genommen. Vor der Weiterreise nach Kursk gab es diesmal einen Besuch in der Stadt Tula, die auf dem Wege nach Kursk gelegen mit dem Bus am Nachmittag erreicht wurde.

Tula wurde als Grenzfestung gegen die Tataren erbaut, wovon der restaurierte Kreml der Stadt zeugt. Unter den Zaren wurde die Stadt zur Waffenschmiede Russlands. Kupfer- und Eisenerzvorkommen in der Nachbarschaft waren dazu die Voraussetzungen. Tula wurde daher im 2.Weltkrieg besonders hartnäckig und erfolgreich verteidigt. Wir sind aber nicht die ersten Wittener, die Tula besuchen. Tula wurde 1865 von dem Industriepionier und international anerkannten Waffenstahlexperten Louis Berger aus Witten gemeinsam mit Ludwig Nobel aus geschäftlichem Interesse besucht. Unser Besuch heute gilt aber nicht dem neu erbauten Waffenmuseum, das erst noch eröffnet werden muss, sondern einem großartigen Samowarmuseum. Tula ist auch für seine Produktion von Samowaren berühmt geworden.

Neben der militärischen Vergangenheit der Stadt hat Tula mit dem Geburts- und Wohnhaus Leo Tolstois einen friedenspolitischen Schwerpunkt zu bieten. Leo Tolstoi ist nicht nur der Verfasser des berühmten Epos "Krieg und Frieden", sondern wandelte sich auch nach seiner Teilnahme am Krimkrieg bis 1856 vom Offizier zum aktiven Pazifisten. Nicht weit von Tula liegt das Anwesen der Grafen Tolstoi „Jasnaja Poljana“ mit gräflichem Wohnhaus, Park und Dorf innerhalb eines großen, kurz nach der Revolution 1917 festgelegten Naturschutzgebietes

Grab des Dichters Tolstoi in Jasnaja Poljana

Begrüßung am Bahnhof in Kursk

Am Nachmittag des Ankunfttages war unsere Gruppe Gast bei unserem Partnerverein, dem Freundeskreis Kursk-Witten, der uns mit einer reich gedeckten Tafel begrüßte.

Der nächste Tag hielt eine ganz außergewöhnliche Begegnung für uns bereit. Der örtliche Blindenverein hatte zum 60. Jahrestag der Gründung der Kursker Blindenbibliothek ein eindrucksvolles Programm  zusammengestellt und uns dazu eingeladen. Neben der Bibliothek für Blinde, die über bedeutende Sammlungen verfügt, gibt es in Kursk auch eine Musikschule für Blinde. Absolventen dieser Schule haben vor Jahren schon einmal in Witten konzertiert.

Besuch in der Musikschule für Blinde in Kursk

Nach dem Konzert ergriff ein Kriegsveteran (93) das Wort. Er sprach über seine positiven Eindrücke, die er von Deutschland hat. Er sah das Leben in Deutschland gut organisiert und hoffte, dass das auch so bleiben möge und dass man hoffentlich zusammen in Frieden weiterleben könne. Beim anschließenden Besuch beim Bürgermeister der Stadt Kursk Nikolai Owtcharow ging es ebenfalls um diesen Gedanken: "70 Jahre nach dem Ende des Krieges versteht man die Ereignisse um Kursk herum noch besser". In dieser Formulierung war der Gedanke an ehemalige Sieger und Besiegte kaum noch enthalten. Owtcharow äusserte sich positiv über den Besuch von Kanzlerin Merkel in Moskau und betonte noch einmal, dass sich die Politik hier im Rahmen einer Friedenspolitik entwickle. Die Sanktionen der EU gegenüber Russland haben keine Bedeutung für die Städtepartnerschaften. Natürlich habe die Stadt und das Gebiet Kursk das Problem von etwa 10.000 Flüchtlingen aus der Ukraine zu schultern. 450 Flüchtlingskinder besuchen zurzeit die Kindertagesstätten oder Schulen und bekommen dort kostenloses Essen. Wir übergaben als gebundenes Heft ein Exemplar der von beiden Partnervereinen in Witten 2014 verfassten und unterzeichneten Resolution, die in Bezug auf die Ukraine dazu aufruft, Probleme in Europa von Europäern auf friedliche Weise zu lösen. Die Unterschriften von fast 200 Wittener Persönlichkeiten und der vom Rat der Stadt Witten zur Unterstützung der Resolution gefasste Beschluss waren dem Heft beigefügt.

Der Bürgermeister der Stadt Kursk Nikolai Owtcharow

Am Nachmittag dieses Tages stand der Besuch des Kernkraftwerkes und der Stadt Kyrchatow etwa 60 Kilometer südwestlich von Kursk auf dem Plan. Wie zu erwarten war, gab es hier natürlich genügend Diskussionsstoff, so interessant die Ausführungen auch waren. Hatten die Wittener doch ihre ablehnende Haltung zur Kernenergie mitgebracht. An Kurchatow Stadt war parallel zum Kraftwerk 1954 mit den Bauarbeiten begonnen worden. Entstanden ist eine durchgrünte Bandstadt im Stile der 60er Jahre in der Größe von ca. 40.000 Einwohnern.

Am Mittwoch gab es eine kleine Stadtrundfahrt zum Thema: "Deutsche Adressen im alten Kursk" geführt von der Architektin Elena Cholodowa. Deutsche Einwanderer nach Russland haben im 18. und 19. Jahrhundert auch in Kursk einen guten Anteil zu der Entwicklung der Stadt beigetragen. Die deutsche Gemeinde in Kursk zählte damals etwa 1300 Mitglieder. Manche ihrer Häuser haben die Zeiten überdauert, manche wie die evangelisch-lutherische Kirche in der Leninstrasse können auf Grund ihrer verschiedenen Umbauten nur noch mühevoll wieder entdeckt werden. Dasselbe trifft auf den lutherischen Friedhof an der Moskauer Strasse hinter dem früheren Moskauer Tor zu, der mit Gebäuden der Landwirtschaftsakademie überbaut wurde. Erfreulicher Weise sind aber noch einige Reste des alten Friedhofs vorhanden. Es warten noch einige Bauwerke auf ihre Wiederentdeckung z.B. die Gründungsbauten alter Fabriken an der Tycka.

Wir besuchen dann das Lyceum Nr. 6. Die Kooperation mit der Hardenstein-Gesamtschule in Witten wird zustande kommen und so wird uns ein sehr herzlicher Empfang bereitet. Damit hätten mit der Holzkamp-Gesamtschule und dem Berufskolleg 3 Wittener Schulen Kontakte zur Partnerstadt Kursk. Wir erleben einige künstlerische Darbietungen der Schüler. Die Schule hat eine naturwissenschaftliche Ausrichtung und bereitet die Schüler auf ein Studium an der Universität vor. 1000 Schüler in 38 Klassen werden von 62 Lehrern im Schicht-Betrieb unterrichtet. Es gibt sehr enge Beziehungen zwischen Schule und Stadt. Bis zur 8. Klasse nehmen alle am gemeinsamen Unterricht teil. Danach erfolgt eine Spezialisierung.

Besuch im Lyceum Nr. 6 in Kursk

Den Nachmittag verbringen wir in der städtischen Gemäldegalerie. Die Direktorin der Galerie gibt uns einen ausführlichen Überblick über die städtische Bildersammlung. West-Europa beeinflusste zunächst Russland. Hierzu gibt es eine große Anzahl der verschiedensten Maler. Am Ende des 19.und zu Beginn des 20. Jahrhunderts jedoch beeinflusste Russland das Kunstgeschehen. Malewitsch, Gontscharova und Kandinsky sind großartige Beispiele dazu. Leider finden die Mechanismen, die in den gegenläufigen Beeinflussungen der europäischen Kunstszene zum Ausdruck kommen, noch viel zu wenig Aufmerksamkeit. Die nationale Betrachtungsweise in Kunst und Geschichte dominiert leider immer noch, was längst als europäisch anerkannt worden ist.

Am Donnerstag fahren wir aufs Land in die Strelitzen-Steppe und besuchen dort die Forschungsstation des Zentralen Schwarzerde-Naturreservates. Es handelt sich um eine Fläche von ca. 5000 ha Größe, das seit 1935 als Biosphärenreservat geschützt ist und in Teilen noch niemals unter dem Pflug war. Bis zu 80 verschiedene Pflanzenarten sind dort auf einem Quadratmeter anzutreffen. In 6 verschiedenen Abschnitten wird hier in der Nachfolge von Professor Allöchen, dem Gründer dieser Station, die Steppe auf Schwarzerde-Böden erforscht. Bis zum Hochmittelalter bewohnten Turkvölker diese Steppe und schufen vermutlich die lebensgroßen Steinfiguren, von denen eine hier zur Dokumentation neu aufgestellt wurde. Zum Abschluss unserer Besichtigung werden wir zu einem Essen in die Station eingeladen. Blinis mit saurer Sahne und Honig gibt es zum Tee.

In der Strelitzensteppe bei Kursk

Der Nachmittag wurde von Vera Filipowa organisiert. Die Idee war, durch eine Rückschau auf die vielfältigen internationalen Projekte der letzten 25 Jahre den Gedanken der Verständigung plastisch zu demonstrieren. Es wurden Projekte des Russischen Friedensfonds gezeigt, die Russische Woche in Witten und die Deutsche Woche in Kursk, das Internationale Frauentagebuch wurde erwähnt und ganz besonders an die große humanitäre Hilfe für Kursk seitens der Wittener Bevölkerung erinnert. Nicht zu vergessen die große Zahl der Bürgerreisen zwischen Kursk und Witten. Verständigung zwischen den Menschen verschiedener Nationen ist konkret machbar, bedarf aber der Kontinuität. Mit einem furiosen Geigenspiel von Swedlana Saharjany endet das Programm.

Am Freitag besuchte ein Teil unserer Gruppe ein Jugendlager,die anderen besichtigten in Zheleznogorsk eine der weltweit größten Eisenerz-Tagebaugruben. Seit 1950 wird in Zheleznogorsk Eisenerz im Tagebau gewonnen. Die seither entstandene Grube misst eine Länge von 6 km, eine Breite von 2,5 km und eine Tiefe von nunmehr 270 m. Vom Rand der gigantischen Grube sehen die Eisenbahnzüge, die den Abtransport des Erzes besorgen und die gewaltigen Muldenkipper, die die Eisenbahnwaggons beladen, wie kleine Spielzeuge aus. Dabei messen allein die Räder der Kipper bereits 2 m im Durchmesser. Die gesamte Anlage erinnert in ihren Dimensionen an unsere heimischen Braunkohletagebaue. Aus der Grube werden 17 Mio.t Erz pro Jahr gefördert. Die riesigen Eisenerzvorkommen so nah der Erdoberfläche sind verantwortlich für die berühmte Kursker Magnetanomalie, die man 1845 entdeckte. Zheleznogorsk (Eisenstadt) wurde 1957 gegründet und hat heute 97.000 Einwohner. Mariupol am Schwarzen Meer in der Ukraine ist seine Partnerstadt. Der kleine Hinweis erinnert uns daran, wie eng in diesem Raum die Beziehungen in die Ukraine hinein waren und wohl heute noch sind.

Wir machen einen Besuch in der Chorschule der Stadt. Hier lernt jedes Kind Singen, Tanzen und ein Instrument. Wir werden mit einem großen Programm an musikalischen Darbietungen überrascht und erfreut. Wir werden zu einem Essen eingeladen und besuchen danach einen Park für Kinder und Jugendliche, der eher eine Baumschule ist, weil in ihm die vielfältigsten Bäume und Büsche zum Kennenlernen stehen. Am späten Nachmittag besuchen wir noch eine Schule für Volkshandwerk, in der unter Anleitung Weidenflechterei, Strohflechten, Patchwork-Arbeiten und Malen auf Holz gelehrt wird. Der Leiter Leonid war 2003 mit einer Ausstellung der Weidenflechterei in Witten. Auf der Rückfahrt nach Kursk überrascht uns ein gewaltiges Unwetter mit enormen Regenmengen.

Am Samstag besuchen wir die Staatliche Südwestliche Universität in Kursk. Irina Starodubtseva bekleidet den Lehrstuhl Technik und Kunst. In einer Institution, die vornehmlich technisch-wissenschaftlich ausgerichtet ist, klingt das zunächst überraschend. Ähnlich wie die Ruhruniversität in Bochum wurde Ende der 50er Jahre wegen der hohen Konzentration von Technik im Kursker Gebiet und des Bedarfes an wissenschaftlichem Nachwuchs die Universität gegründet. Heute hat sie 15.000 Studenten in 200 verschiedenen Ausbildungsgängen bei 49 Lehrstühlen und ist ausgerichtet auf moderne Fachrichtungen wie z.B. die Raumfahrttechnik. Irina Starodubtseva ist Initiatorin des Projektes Technik und Kunst, wobei hier der Gesang mit Klavierbegleitung im Vordergrund steht. Das Niveau ist sehr hoch. Offenbar gibt es vielen talentierten Nachwuchs, der sich sowohl technisch als auch musikalisch ausbilden lässt.

Am späten Nachmittag machen wir uns alle, unsere Gastgeber in Kursk, die Wittener Gruppe, der Freundeskreis Kursk-Witten und alle, die organisatorisch geholfen haben auf den Weg zur Datscha von Valerij Lobossov und seiner Frau. Beide haben ein großartiges Büffet vorbereitet, das zusammen mit Zapfbier sehr genossen wird. Natürlich gibt es Reden. Es wird auch gesungen, auch die Deutschen machen sich ganz gut. Fast traditionell gehen einige im Sejm schwimmen. Dabei wird man auf ein Lager mit Flüchtlingen aus der Ukraine in der Nachbarschaft aufmerksam. Es gibt einige Gespräche mit den Leuten. Leider beendet ein gewaltiges Unwetter unser Abschiedsfest etwas abrupt.

Abschiedsfest in der Datscha am Fluss Sejm

Der Sonntag steht den Gastgebern und ihren Gästen alleine zur Verfügung. Tamara hatte mit Viktor, Ludmilla einer Freundin und mir einen Ausflug nach Swoboda geplant, eine kleine Stadt mit einem früher sehr bedeutenden und heute wieder rekonstruierten Kloster etwa 40 km nördlich von Kursk. Hier besuchen wir erst einmal den Befehlsstand des Marschalls Rokossowskis, einen tiefen Erdbunker. Darum herum ist eine kleine Parkanlage als Gedenkstätte gestaltet. Keine Heldenverehrung, einfache klare Linien auch des Gebäudes, in dem einige Exponate mit einem kurzen Film auf die Schlacht um Kursk 1943 hinweisen. Danach besuchten wir das Kloster, das sich mit seinen Bauten von der Anhöhe bis herunter an das Ufer der Tusca erstreckt. Dem Wasser, das aus einer Quelle sprudelt, wird heilende Kraft zugesprochen. In einem Badehäuschen konnte man vollständig ins Wasser eintauchen, wovon die Besucher regen Gebrauch machten. Spätabends verabschieden uns unsere Gastgeber am Nachtzug nach Moskau.

Klaus Peter Kieselbach

 

 

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