Bürgerreise nach Kursk 2007

Auch in diesem Jahr fand die traditionelle Reise des Freundeskreises zu unseren russischen Freunden in Kursk statt. Die Gruppe erreichte auf verschiedenen Wegen unsere Partnerstadt. Der kleinere Teil nahm eine Woche früher den Weg über Moskau mit einem zweitägigen Aufenthalt in der russischen Hauptstadt. Nach dem üblichen Stadtprogramm gingen die Teilnehmer an Bord ihres Schiffes und erreichten über verschiedene Kanäle, die Wolga und den Ladoga-See die Stadt Peter des Grossen, St. Petersburg. Alle zeigten sich beeindruckt von der Weite der Landschaft und den Klöstern, Stabkirchen und Städten am Wolgaufer. Als besonders reizvoll wurden die nächtlichen Fahrten auf Wolga und Seen mit ihrem durch die „Weißen Nächte“ verzauberten Panorama empfunden. Nach einem kurzen Aufenthalt in St. Petersburg erreichte diese Gruppe mit der Bahn am 24. Juni Kursk und traf dort auf die schon seit zwei Tagen in Kursk weilenden anderen Wittener.

Da ich seit über zehn Jahren nicht mehr in Kursk war, war ich sehr gespannt über etwaige Veränderungen in unserer Partnerstadt. Schon ein Gang durch die Innenstadt zeigt eine rege Bautätigkeit, am auffallendsten sind jedoch die Bankpaläste, die den monumentalen Regierungsbauten und goldenen Kirchen Konkurrenz machen. Am Stadtrand findet man neben riesigen Wohnblocks - wohl das Mittel gegen die immer noch bestehende Wohnungsnot - Siedlungen mit in ihrer stilistischen Vielfalt verwirrenden Einfamilienhäusern, die so etwas wie die Entstehung eines bürgerlichen Mittelstands andeuten. Auf der Hauptstrasse, der Leninstrasse, viele junge, gut gekleidete Menschen vor und in den Restaurants, die Kaufhäuser sind auch mit westlichen Produkten gut bestückt, die in Russland weit verbreitete Altersarmut tritt im innerstädtischen Bereich kaum in Erscheinung. Nicht zu übersehen ist die allgegenwärtige Präsenz der Sicherheitskräfte auf den Strassen und den Gebäuden wie Universität und Hotel.

Aus dem reichhaltigen Programm des zehntägigen Aufenthalts möchte ich einige Stationen herausgreifen, die uns besonders beeindruckt haben. Ganz zu Beginn waren wir am Samstagabend zur Entlassfeier der Abiturientinnen und Abiturienten im Puschkintheater eingeladen. Die Absolventen in atemberaubender Garderobe, es folgte ein Drei-Stunden-Programm mit Tanz, Gesang, parodistischen Einlagen, Reden und abschließender Übergabe der Urkunden. Alle Jahrgänge der Schule, Eltern und Lehrer brachten sich engagiert ein, ich, der ich 30 Jahre deutsche Abiturfeiern erlebt habe, kann mich an dergleichen nicht erinnern.

Den folgenden Tag verbrachten wir in russischen Familien. Mit einigen Anderen war ich auf die Datscha von Igor und Jana eingeladen, mit uns viele Freunde der Familie. Der Tag verging mit viel Essen und Trinken, schon nach kurzer Zeit fühlten wir uns wie in einer Großfamilie. Viele Trinksprüche brachten zum Ausdruck, dass wir alle, die sich jetzt als Freunde gegenüber saßen, noch vor zwanzig Jahren ausgeprägte Feindbilder in den Köpfen hatten.

Sehr interessant war auch ein Besuch in verschiedenen Kindergärten von Kursk. Der zuerst von uns besuchte Kindergarten war ein Montessori-Kindergarten mit dem Schwerpunkt Erziehung zur Selbsttätigkeit im vorschulischen Alter. Nach der Vorführung einer kleineren Lerneinheit zeigten die Mädchen und Jungen uns verschiedene von Klavier­musik begleitete Tänze, die uns in ihrer phantasievollen Gestaltung sehr beeindruckt haben. Hier und anderswo wurde deutlich, wie groß der Stellenwert der musischen Aus­bildung in der Erziehung der russischen Kinder und Jugendlichen ist. Die in diesem Kindergarten tätige Logopädin wird in absehbarer Zeit für einige Zeit in Wittener Kindergärten tätig sein, um ihr Wissen weiterzugeben und neue Erfahrungen zu sammeln. Nach dem kurzen Besuch des ersten privaten Kindergartens in Kursk war die nächste Station ein Kindergarten für behinderte Kinder. Er überraschte durch seine gute Ausstattung und die Vielzahl der die Kinder begleitenden Fachkräfte wie Psychologen, Logopäden und Kinesiologen. In Kursk gibt es insgesamt vier solcher Kindergärten.

Nach einem Treffen im Jugendtheater, Besuch eines Friedhofs für verstorbene deutsche Kriegsgefangene, kennen lernen der Universität und einem Treffen mit Kriegsveteranen in der Bibliothek der Stadt, war im Verlauf der Woche ein Tagesausflug in die weitere Umgebung der Stadt von besonderem Reiz. Mit dem Bus ging es durch die Weite der russischen Landschaft zu der vom Erzabbau lebenden Stadt Gubkin. Diese erst in den letzten Jahrzehnten entstandene Stadt mit ihrem großzügigen Stadtbild und der modernen Sporthalle beeindruckte auch durch die in den neunziger Jahren errichtete goldene Kathedrale, in der über 1000 Personen Platz finden. Die weitere Fahrt führte in das Gebiet der schon weithin sichtbaren Kreidefelsen. Dort haben Mönche vor über 700 Jahren Gänge und Zellen in die Felsen geschlagen und das Kloster rund zehn Meter unter der Oberfläche ausgebaut um darin ihr Leben im Gebet zu verbringen, eine Art der Frömmigkeit, die für Menschen unserer Zeit schwer nachvollziehbar ist. Das heutige große Kloster der Heiligen Dreifaltigkeit mit Kirche und Klostergebäuden beherrscht weithin das Landschaftsbild, die Einkommensquelle der Mönche ist eine florierende Landwirtschaft.

Nach dem Abschiedsabend am Sonntag ging es am folgenden Tag wieder zurück nach Witten; zehn weitere ereignisreiche und interessante Tage bereichern den Blumenstrauß der Kursk-Wittener Freundschaft.

Theo Scheiermann

 

 

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